Interview
Melanie Dettmann ist Sozialpädagogin und Projektleiterin von »Zeig, was du kannst!« in Mecklenburg-Vorpommern – seit 2023 Teil der Initiative Brückensteine Careleaver. »Zeig, was du kannst!« selbst ist eine Initiative der Stiftung der Deutschen Wirtschaft mit der DROSOS Stiftung, der Rudolf-Augstein-Stiftung, der Stiftung der Sparkasse Vorpommern und dem Bildungswerk Mecklenburg-Vorpommern, die junge Menschen in ihrer persönlichen Entwicklung und bei der Berufsorientierung unterstützt.
In diesem Interview nimmt Melanie uns in ihren Alltag mit und erklärt, inwiefern »Zeig, was du kannst!" dazu beiträgt, mehr Chancengleichheit für Carereceiver*innen und Careleaver*innen zu schaffen.
Liebe Melanie, stelle dich doch gern mit drei Fakten über dich vor!
Ich bin mit Herz und Seele Sozialpädagogin. Die Probleme, Wünsche und Ziele von jungen Menschen sind sehr wichtig als Ausgangslage für meine Arbeit. Ich finde es immer sehr schön, wenn ich beim Gegenüber anfangen kann: Wo will die Person hin und wie kann ich unterstützen?
Als Person macht es mich auf jeden Fall aus, dass ich wahnsinnig gerne lese. Ich mag alles, was mit geschriebenen Worten zu tun hat. Genau wie mein Mann. Wir sind richtige Leseratten und haben das auch an unsere Kinder weitergegeben. Es kann alles Mögliche sein, von Arbeitsmaterial über psychologische Geschichten bis hin zu schönen Geschichten.
Ansonsten bin ich ein sehr familiärer Mensch. Ich bin sehr gerne eingemummelt mit meiner Familie, meinen Kindern und meinem Mann und brauche nicht so viel von außen. Mir wurde letztens gesagt, dass ich gerne in meinem kleinen Kosmos unterwegs bin – viel Lesen fördert das ja auch.
Wie kam es dazu, dass »Zeig, was du kannst!« Mecklenburg-Vorpommern nach Leipzig in diesem Jahr nun ebenfalls Teil der Initiative Brückensteine wurde und wie kamst du zum Projekt?
In Leipzig ist »Zeig, was du kannst!« ja schon länger Teil der Initiative Brückensteine Careleaver. Die Idee war, dass wir gegenseitig von der Zusammenarbeit profitieren können. »Zeig, was du kannst!« ist berufliche Orientierung und Coaching für benachteiligte Jugendliche. Careleaver*innen und Carereceiver*innen gehören auf jeden Fall zu unserer Zielgruppe. Sie haben eine schwierigere Ausgangslage als andere junge Menschen. Durch die Brückensteine können wir mehr über Leaving Care lernen und mit unserem bereits bekannten Projekt in Mecklenburg-Vorpommern mehr junge Menschen erreichen.
»Zeig, was du kannst!« gibt es schon seit 2016 in Kooperation mit der Stiftung der deutschen Wirtschaft (sdw), die uns immer sehr unterstützt hat. Sie hat uns Input gegeben und anfangs viele organisatorische Dinge übernommen. Nach und nach wurde das an uns übergeben mit dem Ziel, dass wir eigenständiger werden, uns verstetigen und finanziell auf eigenen Beinen stehen. Es hat Vorteile, wenn jemand vor Ort sich um die Organisation kümmert, der dichter dran ist an allen Beteiligten. So bin ich 2019 zu dem Projekt gekommen und habe Aufgaben übernommen: Etwa die Organisation der Future Days, Kontakte mit den Schulen aufzubauen und zu halten sowie die Schulungen für die Schulsozialarbeiter*innen durchzuführen – diese direkte Zusammenarbeit mit dem Schulsozialarbeiter*innen ist etwas Besonderes bei »Zeig, was du kannst!«
Was glaubst du, welchen Mehrwert es für dein Projekt und dich persönlich hat, Teil der Brückensteine zu sein?
Was ich jetzt schon gemerkt habe, ist, dass das Feld sehr viel weiter aufgeht. Die Zusammenarbeit zeigt, wie viel mehr Unterstützung für benachteiligte junge Menschen möglich ist – sogar in Bereichen, über die ich bisher überhaupt noch nicht nachgedacht habe, weil der Kosmos einfach so groß ist.
Zum Beispiel das Careleaver*-Festival: Ich finde es total schön, dass Careleaver*innen bei Brückensteine einen Ort bekommen, der explizit für sie ist und deren Themen beinhaltet. Und zwar nicht so, wie es Erwachsene vorschreiben, sondern mit den Careleaver*innen selbst im Mittelpunkt. Sie werden empowert, es geht darum, was sie machen wollen, welche Themen sie bearbeiten wollen und wie eine gute Unterstützung dafür aussieht. Auch Careleaver Weltweit ist ein gutes Beispiel. Dabei wird jungen Menschen zugetraut und ermöglicht ins Ausland zu gehen und dort ganz andere Erfahrungen zu machen. Das ist für Careleaver*innen sonst wahrscheinlich nicht so einfach möglich.
Besonders beeindruckend für mich war die Lesung von Careleaving Storys beim Brückensteine Zukunftscamp 2022 in Erfurt, wo Careleaver*innen ihre Erfahrungen mit der Jugendhilfe in Schriftform darstellen und sich ausdrücken. Das ist einerseits so persönlich und berührend und andererseits steckt da auch sehr viel Kraft und Power dahinter. Ich lese auch sehr gerne den Brückensteine Newsletter, in dem Careleaver*innen und Carereceiver*innen immer wieder ihre Erfahrungen schildern, die ja sonst viel zu wenig gehört werden. Ich denke, dass das auch viele junge Menschen interessiert, die nicht aus diesem Kosmos kommen. Das Gefühl, irgendwie allein zu sein, irgendwo reingestupst zu werden, die Unterstützung zu bekommen, die man sich eigentlich wünscht, kennen auch andere junge Menschen. Ich finde es schön, dass es da noch mal ganz andere Anregungen gibt: Weg von »ich bin das Opfer und damit muss ich irgendwie klarkommen«, hin zu »Ich bin eine eigenständige Person mit einer eigenständigen Biografie und kann selbst dafür sorgen, dass ich gesehen werde, dass ich gehört werde und dass ich das bekomme, was mir zusteht.«
Könntest du uns in deinen Arbeitsalltag mitnehmen? Wie sieht er aus? Was genau machst du?
Ich selbst arbeite nur bedingt mit den jungen Menschen zusammen, sondern eher im Backoffice. Gerade bereite ich die Schulung für die Schulsozialarbeiter*innen vor. Dabei schaue ich, was sie brauchen, um wiederum junge Menschen gut unterstützen können.
Das eine große Thema dabei ist: Wie kann ich junge Menschen gut coachen? Wie komme ich in Kontakt mit ihnen und was kann ich tun, damit es für sie auch einen Mehrwert hat? Wie kann ich ihre eigenen Themen gut aufgreifen oder überhaupt erst herauskitzeln? Denn manchmal muss man sie ein bisschen expliziter einladen, sich zu öffnen und auch schauen, dass man dann wirklich das bearbeitet, was sie einen Schritt voranbringt.
Das andere große Thema sind Netzwerke: Schulsozialarbeiter*innen sind oft Einzelkämpfer an den Schulen. Im Gegensatz zu den Lehrer*innen sind sie nicht an den Schulen angestellt, sondern kommen von außen und sind im Lehrerzimmer die einzigen mit ihrer Profession. Es geht also darum, sie untereinander gut zu vernetzen, damit sie sich bei Schwierigkeiten austauschen können.
Weil berufliche Orientierung ein Schwerpunkt von »Zeig, was du kannst!« ist, geht es auch um möglichst viele Kontakte in die Wirtschaft vor Ort. So laden wir zu Schulungen Ausbildende oder Personalverantwortliche von Firmen ein, die für junge Menschen interessant sein könnten. Dann können die Schulsozialarbeiter*innen Prozesse abkürzen und Kontakte zwischen jungen Menschen und Firmen herstellen. Also zum Beispiel sagen, »hier kenne ich jemanden bei der Deutschen Bahn, ich kann mir super vorstellen, dass wir uns das mal zusammen angucken oder dass du da mal ein Praktikum machst. Da rufen wir zusammen an und dann regeln wir das.« So können sie jungen Menschen den Weg ebnen, wo die eigene Schüchternheit oder die eigenen Ängste vielleicht im Weg stehen könnten.
Neben den Schulungen bereite ich auch die Future Days vor. Dort besuchen wir Unternehmen und probieren im besten Falle etwas in der Praxis aus. Dazu machen wir Bewerbungstrainings. Wir schauen: Welche Stärken haben die jungen Menschen? Wo wollen sie zukünftig hin? Ein anderes Thema ist Zeitmanagement, etwa zum Umgang mit Aufschieberitis. Wir machen Rollenspiele zu Vorstellungsgesprächen oder besprechen, wie man ein gutes Anschreiben verfasst – da gibt es jetzt ja auch neue Möglichkeiten wie ChatGPT.
Ein großer Teil ist auch für die Organisation der Fahrtwege. Bei der Gruppe in Schwerin ist das noch einfach, aber ich habe auch eine Gruppe in Vorpommern an der Ostsee in sechs verschiedenen Orten. Dort gibt es nicht so viel, wir müssen also sowieso irgendwo hinfahren und am Ende vom Future Day ist der Schulbus oft schon weg und dann muss ich dafür sorgen, dass alle auch wirklich wieder zuhause ankommen.
Zusätzlich veranstalte ich digitale Netzwerktreffen mit den Schulsozialarbeiter*innen, um in Kontakt zu bleiben und bemühe mich darum, dass alle dabei bleiben trotz der vielen anderen Aufgaben, die an den Schulen anfallen. »Zeig, was du kannst!« ist ein freiwilliges Projekt. Deshalb muss ich es attraktiv machen, sodass sie gerne mitmachen, wirklich einen Mehrwert für sich und die jungen Menschen erkennen. Und das so an die jungen Menschen weitergeben, dass auch diese mitmachen und gerne zu den Future Days kommen wollen. Was sie tatsächlich auch tun: Schon alleine weil ein Schultag ausfällt, aber eben auch weil es toll ist, in Unternehmen hinter die Kulissen zu blicken und zu sehen, was es alles für Möglichkeiten gibt. Es ist auch motivierend zu sehen: »Wenn die das hier schaffen, dann schaffe ich das auch. Das ist kein Buch mit sieben Siegeln, das ist machbar. Der Weg dorthin, das sind alles lösbare Schritte!«
Gibt es deiner Erfahrung nach eine Interessentendenz bei jungen Menschen, was für Unternehmen und welche Berufe sie am meisten interessieren?
Am meisten interessieren sich die Jugendlichen für Berufe, die sie grundsätzlich schon kennen – unbekannte Berufe sind schwieriger. Berufe, mit denen sie etwas anfangen können, sind zum Beispiel Erzieher*in, Lehrer*in, Verkäufer*in oder Kfz-Mechatroniker*in. Mein Ziel ist es, ihnen vor allem Möglichkeiten zu zeigen, die es darüber hinaus noch gibt. Es gibt über 400 verschiedene Berufe und vielleicht passt da etwas anderes noch besser. Ansonsten wollen sie natürlich fair bezahlt werden. Außer der angemessenen Entlohnung ist es ihnen wichtig, dass sie nette Kolleg*innen haben, sich wohlfühlen und eine Aufgabe haben, die für sie Sinn ergibt. Und viele der jungen Menschen, mit denen ich arbeite, wollen eher zu Hause bleiben, erst mal nicht so weit weg gehen.
Könntest du uns ganz kompakt erklären, welches Angebot »Zeig, was du kannst!« speziell für Careleaver:innen und Carereceiver:innen schafft?
Carereceiver*innen oder Careleaver*innen, die sich bei uns melden und mitmachen, haben die Chance ganz konkret über ihre berufliche Zukunft nachzudenken: Was möchte ich beruflich machen? Was bedeutet Arbeit für mich? Wo sind meine Stärken? Wo möchte ich mich einbringen? Wie kann ich meine Ziele erreichen? Und wer könnte mich dabei unterstützen?
Außerdem ist unser Angebot noch recht neu – es besteht daher gerade die einmalige Chance, das Programm gemeinsam mit Careleaver*innen und Carereceiver*innen inhaltlich weiterzuentwickeln. Standardmäßig ist es ohnehin Teil von »Zeig, was du kannst!« die Betreuenden der Teilnehmenden einzuladen und zu schauen, welche Bedarfe es in Hinblick auf die berufliche Orientierung gibt und welche Netzwerke bereits im Umfeld vorhanden sind. Für die jungen Menschen selbst wollen wir einen Raum schaffen, sich mit ihrer beruflichen Orientierung – ihren Stärken und Interessen – intensiver zu beschäftigen, weil das Thema sonst vielleicht auch zu kurz kommt, da Carereceiver*innen und Careleaver*innen so viele Herausforderungen meistern müssen.
Zum Schluss: Welchen Zukunftswunsch hast du für unsere Gesellschaft?
Ich wünsche mir, dass benachteiligte junge Menschen – also auch Carereceiver*innen und Careleaver*innen – noch mehr als Menschen mit Potenzialen gesehen werden und nicht als Menschen mit Handicaps, denen etwas fehlt oder an denen etwas nicht gut ist. Und dass sich alle Gesellschaftsteile noch mehr Mühe geben, diese Potenziale herauszukitzeln und da ein wenig geduldiger werden und mehr Verantwortung übernehmen. Denn manchmal brauchen junge Menschen mit Benachteiligungen, die eine schlechtere Ausgangslage haben, nur einen Menschen, der an sie glaubt und der sie so ein bisschen mitnimmt. Dann können sie zeigen, was in ihnen steckt!
Es wäre schön, wenn das noch besser gelänge: Zum einen für die Gesellschaft, aber vor allem für jeden jungen Menschen selbst, der ja auch ein Teil der Gesellschaft sein und etwas für andere tun möchte. Ich merke, dass gerade jungen Menschen, denen es selbst nicht immer so gut geht, andere oft besonders wichtig sind. Da ist etwas Altruistisches dabei, was häufig gar nicht so richtig gesehen und anerkannt wird.