Blog #2

Careleaver:innen: Die Geschichten der Vielen

Im Juli 2021 fand das erste Careleaver.innen Sommerfestival der Brückensteine statt. Das Festival war ein Ort der Begegnung, des Austauschs - mit der wachsenden Careleaver:innen Community in Deutschland. 

Helena Knorr, Projektleitung von AWAKE  teilt hier ihre Eindrücke mit euch! 

„Es sind Geschichten von jungen Menschen, die manchmal sehr fern wirken, wie aus einer anderen Welt. Und doch sind sie ganz "normale" Careleaver:innen-Geschichten  - von nebenan.“

Die meisten Careleaver:innen, die ich treffe sind zwischen 17 und 22 Jahre alt und alle haben die Jugendhilfe hinter sich gelassen, sorgen für sich selbst und strahlen diese unbändige Kraft und ein großes Stück Lebenserfahrung aus.

Ich könnte ihnen stundenlang zuhören: Es fühlt sich so an, wie auf einer Veranda zu sitzen und sehr alten Menschen beim Erzählen ihrer unglaublichen Lebensgeschichte(n) zuzuhören. Nur, dass die Erzähler:innen hier junge Menschen sind. Sie sind gerade „erwachsen“ im juristischen Sinne, aber auch immer noch sehr jung. Es sind Geschichten von jungen Menschen, die manchmal sehr fern wirken, wie aus einer anderen Welt. Und doch sind sie ganz "normale" Careleaver:innen-Geschichten  - von nebenan.

Am Samstag geht es darum, die Geschichten der Vielen und die vielen Geschichten zu sammeln und aus ihnen zu lernen. Ich bemerke, es kann sehr kräftezehrend sein, private Erfahrungen in einen politischen Kontext zu überführen. Persönliche Erlebnisse zu erinnern und sie im Strukturellen zu verorten - das bedeutet auch immer, sich in einen tiefen inneren Prozess zu begeben. Ein Prozess des Wieder-käuens von schwierigen Erfahrungen, die am Ende oft in einem neuen Gewand erscheinen, eingebettet in eine Sturktur, in ein System.

Und erst der offene Austausch mit anderen ermöglicht es uns, überhaupt erkennen zu können, dass es nicht ein einzelner junger Mensch ist, der versagt oder "scheitert".

 

Sondern im Gegenteil, dass es oft die Strukturen sind, die nicht genügen, ausschließend wirken, Optionen verbauen oder Menschen fallen lassen. 

Und so war es nicht die Schuld einer Careleaverin, nicht zu wissen, dass man Strom in der neuen Wohnung „dazu buchen“ muss. Es war nicht ihr Versagen, sondern es fehlte an einer guten Vorbereitung. An einer Begleitung bis zu dem Moment, in dem sie tatsächlich in ihrem neuen zu Hause angekommen ist. Es braucht mindestens eine Checkliste und eine Person, die hier unterstützt und bei diesem ersten Mal einen wachen und beschützenden Blick auf die notwendigen Schritte legt.

Und es ist auch nicht das Versagen von einem Careleaver, der in seiner Wohnung gerade nur mit einem Herd, Bett und Tisch ausgestattet ist, dass er Schwierigkeiten hat, sich dort wohlzufühlen. Es ist die unzureichende Grundausstattung, die gewährleisten müsste, dass eine erste eigene Wohnung zu einem „zu Hause“ werden kann. Eine Herdplatte reicht eben nicht. „Ein zu Hause kostet mehr als 750 Euro“ - schreibt eine Teilnehmer:in auf ein Plakat. 

Für Careleaver:innen sind die Strukturen oft eng und beschränkend. Es gibt wenig Raum zu scheitern.  Zu einem großen Teil, weil die finanzielle Lage von Careleaver:innen  in so hohem Maße unzureichend ist. Dieser Mangel schafft existenzielle Sorgen, die jeden Raum für mutige Versuche und die Option zu scheitern nehmen. Aber auch weil Jugendämter und das Fachpersonal der Jugendhilfe Erfolge sehen wollen und müssen. Da bleibt schon in der Jugendhilfe wenig Raum für große Schritte mit Risiko.