Interview

»Man muss mit dem Mythos aufräumen, dass nur Einser-Kandidat*innen eine Förderung erhalten!«

Lina Adomaityte (rechts im Bild) und Christina Lehmann (links) beraten Studierende und Studieninteressierte aller Fächer und bundesweit im kostenfreien und unabhängigen Stipendienberatungsservice der Stiftung der Deutschen Wirtschaft. Das Projekt richtet sich besonders an Personen, die nicht aus einem akademischen Umfeld kommen oder deren bisheriger Bildungsweg nicht ganz gradlinig war. In ihrer Arbeit zeigen sie auf, welche Möglichkeiten ein Stipendium mit sich bringt, wollen Ängste nehmen und Mut zur Stipendienbewerbung machen. 

>> So erreicht ihr Lina und Christina

Seit wann arbeitest du bei der sdw und was machst du dort genau?

Christina:
Ich bin seit 2018 bei der sdw und arbeite für den unabhängigen Stipendienberatungsservice. Wir haben allerdings ein eigenes Programm mit eigener Webseite und Angeboten, wie unserem Stipendium-O-Maten. Ganz generell machen wir individuelle Stipendienrecherche und -beratungen. Sprich man kann uns telefonisch oder schriftlich erreichen und wir helfen der Person dann dabei, das richtige Stipendium für sie zu finden. Unsere Motivation ist vor allem Allen die bestmögliche, auf sie individuell zugeschnittene Beratung zu bieten und ihnen am Ende erfolgreich ein Stipendium vermitteln zu können. Neben der Recherche und der persönlichen Beratung bieten wir aber auch spezielle Workshops an, in denen wir die wichtigsten Aspekte eines Motivationsschreibens erarbeiten und auf die Auswahlgespräche vorbereiten.

»In 10 Jahren fanden 8000 Stipendien-Beratungen statt und das Team beantwortete 15 000 Fragen von Interessierten.«

Wie läuft denn so eine Beratung genau ab?

Christina:
Wir hören uns erst mal die individuelle Geschichte an und fragen die Person nach grundlegenden Dingen wie Studiengang, Semesteranzahl, in welcher Stadt sie studiert und woher sie kommt. Das sind alles wichtige Faktoren, die die Recherche beeinflussen. Mit diesen Informationen schauen wir in unsere Datenbank und prüfen auch gegebenenfalls Kombinationsmöglichkeiten. Es gibt über 2500 Stipendienprogramme in Deutschland und manche davon sind so zielgruppenspezifisch, dass sie sich zum Beispiel nur an MINT Studentinnen, also an weibliche Studierende, aus NRW richten. Deswegen muss man manchmal mehrere Faktoren miteinander kombinieren. Aber es lohnt sich: Wir haben wirklich immer wieder tolle Stipendien und Möglichkeiten, die wir dann anbieten können. Darüber hinaus unterstützen wir aber auch gerne beim Bewerbungsprozess und helfen bei der Vorbereitung  auf die Auswahlgespräche.

Wie kann man sich denn mal so grob in der »Welt der Stipendien orientieren«?

Christina:
Also wir unterteilen das quasi in fünf Kategorien: Allgemeine Stipendien, wie etwa die Begabtenförderung, fachspezifische Stipendien, regionale Stipendien, zweckgebundene Stipendien, wie ein Auslandssemester und zielgruppenspezifische Stipendien.

»Natürlich setzen viele Stiftungen weiter auch auf gute Noten und ehrenamtliches Engagement voraus, doch biografische Besonderheiten spielen immer mehr eine Rolle.«

Wie du schon gesagt hast, sind die Stipendien teilweise sehr spezifisch. Auch die Geschichten von Careleaver*innen sind sehr individuell, doch gibt es Stipendien die sich ganz gezielt an diese jungen Menschen richten?

Christina:
Ja, da gibt es eben zum einen Careleaver Weltweit, welches ja auch ein Projekt der Brückensteine ist. Aber ansonsten empfehlen wir Stipendien wirklich ganz individuell, denn die biografischen Besonderheiten bei Careleaver*innen sind ja auch sehr vielfältig und unterschiedlich – ganz pauschal kann man da jetzt nichts sagen. Ein Faktor kann aber sein, soweit dies bekannt ist, dass beide Eltern nicht studiert haben. Es kann aber auch ein Schicksalsschlag sein, eine chronische Erkrankung oder Behinderung. Wie das von der Stiftung gewertet wird, ist von unterschiedlichen Dingen abhängig. Aber generell kann man sagen, dass diese biografischen Besonderheiten inzwischen als erweiterte Auswahlmöglichkeiten gewertet werden.

Natürlich setzen viele Stiftungen weiterhin auch gute Noten und ehrenamtliches Engagement voraus, doch biografische Besonderheiten spielen immer mehr eine Rolle, da viele eben auch vorzugsweise bedürftige Studierende fördern möchten.

Wenn man zum Beispiel keine Zeit für ein Ehrenamt hatte, weil man sein Leben allein organisieren musste, kann dies auch ein Ausgleich für weniger Ehrenamt oder nicht so gute Noten bei der Bewerbung sein.

Man muss mit dem Mythos aufräumen, dass nur Einser-Kandidat*innen eine Förderung erhalten, klarstellen, dass Stipendien eben nicht nur für die vermeintliche »Elite« sind und die Informationen über Unterstützungsangebote breiter streuen.

»Die Hindernisse und Herausforderungen, welche diese jungen Menschen gemeistert haben, sind keinesfalls als Schwächen zu interpretieren. Im Gegenteil kann man sie als besondere Stärken sehen und dies in einer Bewerbung auch gezielt herausstellen.«

Lina Adomaityte und Christina Lehmann

Inwiefern sind Careleaver*innen besonders unterstützenswerte Kandidat*innen?

Christina:
Der Gedanke dabei ist Chancengleichheit: Personen, die aufgrund ihrer Biografie, die sie nicht selbst zu verantworten haben, und aufgrund derer sie ihr Potenzial vielleicht nicht vollständig entfalten und ausschöpfen konnten, sollen trotzdem Zugang zu Förderprogrammen erhalten. Die Hindernisse und Herausforderungen, welche diese jungen Menschen gemeistert haben, sind keinesfalls als Schwächen zu interpretieren. Im Gegenteil kann man sie als besondere Stärken sehen und dies in einer Bewerbung auch gezielt herausstellen.

Sich in so jungen Jahren schon selbst organisieren zu müssen, zeugt von krasser Durchsetzungskraft, Willensstärke und Zielstrebigkeit. Als Careleaver*in die eigenen biografischen Besonderheiten miteinzubeziehen kann also ein Vorteil gegenüber anderen Bewerber*innen sein. In unseren Workshops die wir speziell für Careleaver*innen anbieten, gehen wir auch auf diese Besonderheiten nochmal ein, schildern, wie man es am besten darlegen kann, ohne zu privat zu werden und geben Formulierungshilfen für das Motivationsschreiben.

Hast du zuletzt Careleaver*innen beraten und wart ihr erfolgreich bei der Suche nach passenden Fördermöglichkeiten?

Christina:
Ja, tatsächlich hatten wir letztes Jahr zwei Bewerber*innen, die bei uns in der Beratung waren. Sie sind beide mit gewisser Vorbereitung hinsichtlich ihres Studienwunsches und einer kurzen Aufbereitung ihrer Geschichte zu uns gekommen und gemeinsam haben wir geschaut, was passen könnte. Wir haben zwei verschiedene Begabtenförderungswerke gefunden: Die eine Person war politisch sehr engagiert, sodass wir ihr zur Bewerbung bei einer parteinahen Stiftung geraten haben. Die zweite Person konnte sehr gute Noten vorweisen und ist gläubig, sodass wir sie an eine konfessionell geprägte Stiftung verweisen konnten. Es gibt aber auch neutrale Fördermöglichkeiten, wie zum Beispiel hier bei der sdw das Stipendium des Studienförderwerks Klaus Murmann, wo sich auch letztes Jahr einige Careleaver*innen erfolgreich beworben haben. Wir haben einige weiter dabei unterstützt, die Auswahlgespräche gut vorzubereiten und gemeinsame Ziele abzustecken, die mithilfe des Stipendiums erreicht werden sollen.

Wie kann man sich denn am besten auf die Bewerbung für ein Stipendium vorbereiten?

Christina:
Auf eine ausführliche Recherche nach passenden Stipendien folgt die Frage nach der eigenen Motivation und den eigenen Zielen. Das gilt auch für ein mögliches Bewerbungsgespräch. Was erwartet mich denn überhaupt in den Gesprächen? Wie kann ich mich vorbereiten? Was kann ich vielleicht schon vorher formulieren? Was muss ich vielleicht auch schon ein bisschen längerfristig im Hinterkopf haben, wie zum Beispiel, die Frage nach Allgemeinwissen und wie kann ich mich darauf vorbereiten? Man sollte auch darüber nachdenken, welche Unterlagen man benötigt und was man eventuell noch beantragen muss. Weiter ist natürlich das Motivationsschreiben, welches das Herzstück der Bewerbung bildet, extrem wichtig. Dabei können wir aber auch weiterhelfen.

Man sollte sich auch fragen, ob man nicht doch bereits ehrenamtlich tätig ist. Denn häufig sind sich Personen nicht darüber bewusst, dass zum Beispiel die Hausaufgabenbetreuung oder das Trainieren der Jugendmannschaft bereits ehrenamtliche Tätigkeiten sind, die sie absolut mit in die Bewerbung aufnehmen können. Auch ein Engagement für die eigene Careleaver*-Community oder das Sprechen über bestimmte Themen auf Social-Media können schon ein Ehrenamt sein.

» Andere haben bereits durch ihre Eltern Zugang zu bestimmten sozialen und beruflichen Netzwerken. Careleaver*innen können diese im Rahmen eines Stipendiums erhalten.«

Ein Stipendium bedeutet auch, dass jemand eventuell Erwartungen an einen stellt. Hast du schon mal von negativen Erfahrungen von Stipendiat*innen mitbekommen oder spricht etwas gegen ein Stipendium?

Christina:
Bei manchen Stiftungen ist es schon so, dass man als Stipendiat*in Nachweise sowie halbjährige Fortschrittsberichte erbringen muss. Der Sinn eines Stipendiums ist es ja, sich hauptsächlich auf das Studium konzentrieren zu können. Das heißt, es braucht natürlich auch Nachweise, dass man das Studium weiter fortführt. Das ist aber sehr unterschiedlich je nach Stiftung und ist im Voraus erfragbar. Für die Stiftung ist es natürlich auch einfach spannend, zu erfahren, was mit Fördergeldern genau passiert und ob Stipendiat*innen Fortschritte machen. Auch möchten Stiftungen natürlich wissen, ob ihre Fördermöglichkeiten, wie die Angebote an Workshops und Seminaren für Stipendiat*innen angenommen werden und sinnvoll sind. Dies kann man dann so einem Bericht entnehmen. Ich sehe eigentlich weitestgehend Vorteile bei Stipendien.

Welche weiteren Vorteile hat denn ein Stipendium noch?

Christina:
Nun ja, gerade in Bezug auf Careleaver*innen kann eine Stiftung auch die Chance bieten, zu Netzwerken Zugang zu finden, mit welchen man sonst nicht in Berührung gekommen wäre. So kann man vielleicht über einen Kontakt in der Stiftung oder auch von ehemaligen Geförderten, also Alumni, Zugang zu beispielsweise Praktika erhalten. Andere haben bereits durch ihre Eltern Zugang zu bestimmten sozialen und beruflichen Netzwerken. Diese können Careleaver*innen im Rahmen eines Stipendiums erhalten.