Interview

»Auch in Zukunft wollen wir mit den Abgeordneten zusammenarbeiten.«

Durch die Initiative Zukunftsforum Heimerziehung (gefördert durch das BMFSFJ) kam es zu einem Hearing im Bundestag. Gemeinsam mit jungen Menschen und Eltern, welche das Thema Heimerziehung persönlich betrifft, erzählt Careleaverin Ruth Strüder von geforderten Rechten, unbegründeten Vorurteilen und Stigmatisierungen sowie Teilhabe von persönlich „betroffenen“ Personen.

Wie lief das Hearing im Bundestag denn genau ab?

Ruth:
Wir (Jugendliche, Careleaver*innen und Eltern, Mitarbeitende der IGFH und Begleiter:innen der Veranstaltung) versammelten uns am Sonntag, den 18.09.2022 zur Vorbereitung für das Hearing im Seminarhaus und am darauf folgenden Tag vor dem Paul-Löbe Haus. Nach der Sicherheitskontrolle trafen wir uns im Rahmen eines Vortreffens mit der Staatssekretärin Ekin Deligöz und Ulrike Bahr, Anne Dahlbüdding, Denise Loop, Luise Pfütze, Heidi Reichinnek und Dr. Ruth Vornefeld. Nach der Begrüßung durch Frau Deligöz, teilten wir uns in drei Gruppen (Careleaver*innen, Jugendlichen und Eltern). Zu jeder Gruppe kamen jeweils zwei Politiker*innen dazu, um darüber zu sprechen und zu diskutieren, was in der Heimerziehung besser laufen könnte und was bereits gut verläuft. Nach ca. 20 Minuten rotierten die Politiker*innen in den Gruppen, um am Ende Einblicke in die Situationen von Care Receiver*innen, Careleaver*innen und Eltern zu gewinnen.  Um 12:30 Uhr präsentierten die Politiker*innen ihren Fraktionen basierend auf den Ergebnissen der Gruppendiskussionen ihre Schlussfolgerungen.

Auch im Rahmen der Mittagspause befanden wir uns weiterhin in regem Austausch mit verschiedenen Politiker*innen, von denen auch selbst eine Person früher im Jugendamt arbeitete. Zu sehen und zu hören, dass man auf offene Ohren und Verständnis trifft, war für uns eine wichtige Erfahrung.

Im Anschluss an die Mittagspause wurden die Fachgespräche fortgeführt – dieses Mal aber mit sehr viel mehr Politiker*innen in einem vollen Plenarsaal. U.a. nahmen Felix Döring, Leni Breymaier, Ralph Edelhäußer, Anne Janssen, Katja Adler, Dr. Heike Schmid- Obkirchner und Dr. Ruth Vornefeld teil. Vor allem wurde über Impulse und Forderungen an die Bundespolitik gesprochen – Es wurden seitens der Politiker*innen viele Rückfragen gestellt.

Im Anschluss an eine zusammenfassende Abschlussrede durch Ulrike Bahr und Ekin Deligöz wurden Kontaktdaten ausgetauscht, um auch in Zukunft gemeinsam zu agieren und zu arbeiten.

Was waren die konkreten Themen des Hearings?

Ruth:
Themen waren vor allem Vorurteile, Stigmatisierungen, Rechte und Teilhabemöglichkeiten im Rahmen der Heimerziehung, sowie auch fehlende finanzielle Mittel, der Fachkräftemangel und zu wenige Weiterbildungsmöglichkeiten. Vor allem stand auch der fehlende Rechtsstatus von Careleaver*innen sowie Care Receiver*innen im Vordergrund und außerdem die finanziellen Belastungen durch die Schulden der Eltern, für welche Careleaver*innen und Care Receiver*innen teilweise aufkommen müssen. Weiter sollte es eine Überprüfung von Qualitätsstandards von Einrichtungen geben sowie niedrigschwelligen Zugang zu Ombudsstellen in jedem Bundesland. Auch spielt angesichts der Corona-Krise die Garantie eines Internetzugangs in Einrichtungen eine wichtige Rolle. In Hinblick auf den Auszug soll dieser nicht für das 18. Lebensjahr angestrebt werden, sondern deutlich später.

Wieso war die Teilnahme so wichtig für dich?

Ruth:
Es war mir wichtig teilzunehmen, da ich die Stimme erheben möchte, für alle Careleaver*innen. Es gibt viele Sachen, die sowohl in der Heimerziehung als auch im Übergang in ein selbständiges Leben noch nicht gut laufen und verbessert werden müssen. Ich möchte, dass alle Menschen vernünftig aufwachsen können, egal welchen familiären Hintergrund sie aufweisen. Ich erhoffe mir auch, dass unsere Petition im Bundestag Gehör findet. Außerdem ist mir der persönliche Austausch mit Abgeordneten wichtig, um sie für die Thematik zu sensibilisieren.

»Ich möchte, dass alle Menschen vernünftig aufwachsen können, egal welchen familiären Hintergrund sie aufweisen.«

Mit welchem Gefühl bist du aus dem Hearing gegangen und folgt noch etwas?

Ruth:
Ich bin mit einem sehr guten Gefühl aus dem Hearing gekommen, denn unsere Thematiken sind bei den Poltiker*innen angekommen. Sie waren sehr interessiert und schienen motiviert, weiter mit uns zusammen zu arbeiten. Man lud mich außerdem gleich zu einem weiteren Treffen des BMFSFJ-Ausschusses ein – Das Hearing gab mir zudem weiterhin Mut und Energie, an der Thematik weiterzuarbeiten. Ich hoffe, dass solche Veranstaltungen weiterhin stattfinden können.

Inwiefern hat die Petition für das Hearing eine Rolle gespielt?

Ruth:
In vielen unserer Forderungen wurden die Forderungen der Petition mit erwähnt. Vor allem die Errichtung eines definierten Rechtsstatus fand bei allen Gehör und war ein wichtiger thematischer Bestandteil der Sitzung.