Interview

»Mein Bildungsweg war sehr von Umwegen geprägt«

Konrad, 31, hat einen großen Teil seiner Kindheit und Jugend in der stationären Jugendhilfe verbracht. Auf dem Weg zu seinem Traumstudium hat er viele Umwege in Kauf genommen, sich durchgekämpft und vor allem: niemals aufgegeben. Heute studiert er Soziale Arbeit und Kriminologie und hat einen Plan gefasst: Er möchte promovieren und irgendwann selbst als Professor sein geballtes Wissen weitergeben.

Foto: Felix Aler

Hey Konrad! Du bist 31 Jahre alt. Fühlst du dich, mehr als 13 Jahre nach deinem Auszug aus der Jugendhilfe, noch als Careleaver?

Ja das tue ich. Ich denke nicht, dass man sich davon völlig freimachen kann oder muss. Ich glaube, die spannende Frage ist, was man damit verbindet! Das ist kein Mühlstein, der einem um den Hals hängt. Im Gegenteil. Krisen und auch Konflikte können eine große Chance sein, um zu wachsen.

Du schreibst gerade deine Bachelorarbeit in Sozialer Arbeit.
Welchen Weg hast du zurückgelegt, um bei der Bachelorarbeit gelandet zu sein?

Mein Bildungsweg war sehr von Umwegen geprägt und das System Schule und ich, wir waren keine besonders guten Freunde. Die 9. Klasse habe ich zwei Mal gemacht und mit einem Hauptschulabschluss beendet. Danach bin ich auf eine Berufsfachschule gegangen, um die mittlere Reife zu bekommen. Dann wollte ich das Fachabi. Ich habe es zweimal angefangen und es beide Male abgebrochen. Mit 22 habe ich dann, auch auf Druck des Arbeitsamtes hin, eine Ausbildung im kaufmännischen Bereich angefangen. Mittendrin habe ich gemerkt, dass ich das auf keinen Fall den Rest meines Lebens machen will.

Nochmal abbrechen war aber keine Perspektive! Ich habe die Ausbildung fertig gemacht, um dann noch ein drittes und letztes Mal das Fachabitur anzufangen. Ich wusste, wenn ich das jetzt durchziehe, dann werde ich Soziale Arbeit studieren können. Das wollte ich als Jugendlicher schon. Und so kam es. Wenn auch mit Ach und Krach, ich habe das Fachabi erfolgreich beendet und konnte mich für ein Studium bewerben. Für Soziale Arbeit war dann der N.c. eigentlich zu hoch. Ich hatte aber Glück – mit Hartnäckigkeit und einem Losverfahren bin ich direkt ins Studium gekommen. Mittlerweile bin ich bei der Bachelorarbeit angekommen. Es war ein langer Weg, aber er hat sich gelohnt.

     

»Gerade in der Übergangsphase, wenn Weichen gestellt werden, müssen Careleaver*innen gut abgesichert und ausgestattet sein.«

In welchen Momenten hättest du dir mehr Unterstützung auf deinem Bildungsweg gewünscht und wie hätte die Unterstützung aussehen können?

Nach meinem 18. Lebensjahr, als ich das erste Mal versucht habe das Abi zu machen, hat mir schlicht und ergreifend eine angemessene, finanzielle Ausstattung gefehlt. Das war ein Riesenthema. Ich habe finanziell immer sehr hart gekämpft. Das belastet einen jeden Tag. Auch wenn es um die Frage geht, stehe ich auf, wenn der Wecker klingelt und gehe zur Schule oder bleibe ich im Bett liegen, weil mir das alles zu viel ist.

Es kann aus meiner Sicht auch nicht sein, dass Careleaver*innen, die ihre erste Wohnung anmieten, sich für die Kaution erst mal verschulden müssen. Oder, dass sie bei der Erstausstattung gerade genug Geld bekommen, um aus dem Sozialkaufhaus ein paar Sachen zu kaufen. Dann hat man vielleicht ein Bett, einen Schrank und einen Stuhl, aber keinen Schreibtisch und auch kein Bücherregal, etwas zugespitzt gesagt. Da braucht es eine wesentlich bessere Anspruchsgrundlage für junge Volljährige. Gerade in der wichtigen Übergangsphase, wenn Weichen gestellt werden, müssen sie gut abgesichert und ausgestattet sein.

Aber auch über das Finanzielle hinaus braucht es mehr. Direkt nachdem die Jugendhilfe endet, kommen so viele alltägliche Fragen auf einen zu. Wo bei anderen jungen Leuten Eltern unterstützen, brauchen Careleaver*innen auch jemanden. Wie regle ich meine Finanzen, welche Versicherungen brauche ich, wie bekomme ich eine Wohnung? Auf der Suche nach meiner ersten Wohnung bin ich furchtbar über den Tisch gezogen worden. Ein dubioser Makler, hat mir schwarz eine Courtage abgenommen. Ich habe es nicht besser gewusst und dachte das wäre halt so. Das sind so Dinge, die hätten nicht sein müssen, hätte ich für den Übergang mehr Unterstützung gehabt.

»Lasst euch nicht beirren,

bleibt am Ball und schmiedet Pläne!«

Foto: Benjamin Jenak

Du bist Teil einer Careleaver-Hochschulgruppe in Thüringen. Wie bist du auf die Gruppe aufmerksam geworden und warum hast du dich entschieden, mitzumachen?

Zuallererst bin ich auf das Careleaver Zentrum in Thüringen aufmerksam geworden. Sie hatten sich in meinem Fachbereich vorgestellt. Ich brauchte nochmal Unterstützung für einen offenen Konflikt mit meinem damaligen Jugendamt. Dabei haben sie mir geholfen und dann den Kontakt zu anderen studierenden Careleaver*innen hergestellt. Wir haben uns getroffen und ich bin dabeigeblieben. Über manche Themen können wir einfach besser sprechen, weil wir ähnliche Biografien, ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Interessanterweise sind wir alle auch im pädagogischen Bereich gelandet. Das ist dann besonders spannend, weil wir uns auch fachlich austauschen können.

Was würdest du denn aus heutiger Sicht anderen Careleavern, die erwägen zu studieren, mit auf den Weg geben wollen?

Macht euch einen Plan. Was wollt ihr studieren und wie kann der Weg dahin aussehen? Welche Zwischenschritte kann oder muss es geben? Macht euch auch einen Plan B.  Wenn zum Beispiel der Plan A nicht funktioniert, weil ihr vielleicht im Gymnasium erstmal nicht so gut klarkommt und auf eine Regelschule müsst, heißt das nicht, dass alles zu Ende sein muss. Es gibt viele Möglichkeiten, um auf dem zweiten Bildungsweg noch ein Abitur zu machen.

Und ganz wichtig: fordert Unterstützung ein! Ihr habt ein Recht darauf.

Und wenn euch gesagt wird, »wer weiß, ob ein Studium was für dich ist, mach doch lieber was anderes«: Lasst euch nicht beirren, wenn ihr das wollt! Die Fachkräfte und das Jugendamt sind dazu verpflichtet, euch dabei zu unterstützen. Macht davon Gebrauch! Und nutzt die neuen Careleaver Anlaufstellen und Gruppen. Ihr könnt nur davon profitieren, dass es nochmal eine andere, externe Struktur gibt, die euch unterstützen kann. Da werde ich heute immer melancholisch und wünschte, dass es so etwas damals für mich auch gegeben hätte.

Und vor allen Dingen, das Allerwichtigste: Lasst euch nicht beirren, bleibt am Ball und schmiedet Pläne!