Interview

»Ich finde, Cariboo ersetzt eine Person, der man Fragen stellen kann.«

Ruth, 20, hat von Anfang an bei der Entwicklung von Cariboo mitgewirkt. Sie begann als App Testerin und ist heute im Moderationsteam der Web App. Sie engagiert sich in ihrer Freizeit bei Brückensteine und im Careleaver e.V. und ist der Meinung, dass die Digitalisierung in der Jugendhilfe großen Nachholbedarf hat. Gerade ist sie selbst im Aufbruch und Übergang von einer Verselbstständigungs-WG in ihre erste eigene Wohnung.

Wie bist du darauf aufmerksam geworden, dass Brückensteine auch etwas im Bereich Digitales plant?

Im Careleaver e.V., wo ich ehrenamtlich arbeite, haben wir einen News Channel auf WhatsApp. Da gab es eines Tages die Anfrage, dass Brückensteine Leute sucht, die eine neue Online-Plattform testen wollen. Da habe ich gedacht: »Wie cool ist das denn?!«, mich dafür angemeldet und bei den Testings mitgemacht. Und so hat sich das Ganze entwickelt.

Wie lief so ein Testing ab?

Ich habe mich mit zwei Mitarbeiter*innen von Orbit Ventures getroffen, online auf einer Plattform ähnlich wie Zoom. Dort haben sie mir einen Link geschickt, den ich mit meinem Handy geöffnet habe. Da war die neue App noch ganz am Anfang. Sie haben mich dann einfach mal machen lassen und mir Fragen gestellt wie »Wenn ich diesen oder jenen Beitrag oder Button sehe, was würde ich denken, was würde ich als nächstes machen?« Ich habe da einfach alles ausprobiert und gesagt, was ich denke.

Was gefällt dir an Cariboo und daran, dass sich Brückensteine jetzt auch auf digitale Wege begibt?

Ich finde es generell voll cool, dass es so eine Plattform gibt. So etwas gab es noch nie. Und ich finde diese Plattform extrem wichtig – vor allem für Careleaver, aber auch für Carereceiver. Wenn man in der Jugendhilfe groß geworden ist, dann bekommt man einfach nicht die Unterstützung, die viele von den Eltern bekommen können. Ich finde es wichtig, dass es eine Austauschmöglichkeit gibt, wo wir uns Hilfe holen, wo wir uns mit anderen Careleavern vernetzen können, wo wir einfach Unterstützung bekommen. Man kann Fragen stellen wie »Ich ziehe gerade um, wo kann ich günstige Küchen kaufen?« oder, wenn ich ein Studium beginnen möchte, »Wiekomme ich an BAföG?«.
Man kann einfach jegliche Fragen stellen und dazu eine Antwort bekommen. Und ich finde es auch mega cool, dass man anderen Leuten helfen kann. Man stellt nämlich nicht nur Fragen, sondern kann anderen auf ihre Fragen auch antworten, anderen Careleavern helfen. Das finde ich sehr, sehr toll, dass das Brückensteine in die Hand genommen hat und dass diese Plattform jetzt existiert.

Was glaubst du kann Cariboo für Careleaver erleichtern und verbessern?

Ich finde, Cariboo ersetzt eine Person, der man Fragen stellen kann. Hier in meiner Einrichtung habe ich zum Beispiel eine Bezugsperson, die mich begleitet und der ich meine Fragen stelle. Und wenn die Person dann nicht mehr da ist, kann man die Fragen auf Cariboo stellen. Ich finde, das ersetzt also schon eine Hilfestellung im Alltag.

»Die Jugendhilfe muss was Neues bringen, damit Jugendliche von zuhause aus arbeiten, mobil sein und auch solche Plattformen wie Cariboo nutzen können.«

Wie schätzt du aktuell den Stellenwert der Digitalisierung in der Jugendhilfe ein? Und wie sieht es nach dem Auszug aus der Jugendhilfe für Careleaver aus?

Bei mir war es schwer in der Jugendhilfe und ich war froh, als ich einen eigenen Laptop hatte. Leider stellt das Jugendamt sowas nicht komplett zur Verfügung, sondern nur einen Anteil, wenn man einen Antrag stellt. Aber der Zuschuss zur Finanzierung reicht halt nicht. Deswegen bin ich der Meinung, dass die Jugendhilfe in Bezug auf Digitalisierung noch großen Nachholbedarf hat.

Dann gibt es auch das Problem mit dem WLAN: Bei mir war es so, dass wir kein WLAN hatten, weil sie Angst hatten, dass bestimmte Personen dann dummes Zeug im Internet googeln und das Internet missbrauchen. Und deswegen gab es halt für alle kein Internet. Die digitalen Möglichkeiten und die Ausstattung in der Jugendhilfe sind also sowas von überholt!
Ich musste mir selbstständig einen Web Stick besorgen, um im Internet surfen zu können. Ich war froh, dass meine Schule Internet hatte und ich da vieles machen konnte. Aber wenn man in der Anfangsphase vom Abitur steckt, ist es einfach unmöglich ohne Internet zu arbeiten. Unsere Gesellschaft wird immer mehr digitalisiert. Daher muss die Jugendhilfe auf jeden Fall was Neues bringen, damit Jugendliche von zuhause aus arbeiten, mobil sein und auch solche Plattformen wie Cariboo nutzen können.

Was wünschst du dir von der Politik? Was muss sich bei der digitalen Teilhabe von Carereceivern und Careleavern noch verbessern?

Ich wünsche mir von der Politik, dass sie jedem Careleaver oder Carereceiver einen Computer oder Laptop finanziert, weil es ein Teil unseres heutigen Lebens ist, um mit anderen kommunizieren zu können, aber auch um einfach arbeiten zu können. Außerdem sollte es in jeder Einrichtung wirklich gutes Internet geben. Das sollte eine Pflicht werden in den Jugendhilfeeinrichtungen.

Bei Cariboo können Careleaver und alle, die sich engagieren wollen, mitmachen. In welcher Rolle bleibst du auch in Zukunft bei Cariboo aktiv?

Ich fand die Testungen so cool, dass ich da noch weiter mithelfen und mitarbeiten wollte. Jetzt bin ich Teil vom Moderationsteam – also ich stecke mit hinter Cariboo! Wenn z.B. eine Person auf der Plattform einen Beitrag meldet, darf ich den löschen, falls er nicht in unseren Kodex passt. Mit dem Moderationsteam treffen wir uns einmal die Woche. Da tauschen wir uns aus und teilen Neuigkeiten. Und wir arbeiten zusammen und helfen bei der Beantwortung der Fragen, die gestellt wurden. Und manchmal stellen wir auch eigene, neue Fragen rein.

»In 5 Jahren weiß jede*r in den Einrichtungen: Cariboo, da kannst du deine Fragen stellen, wenn du Hilfe brauchst und du bekommst eine Antwort.«

Was gefällt dir daran, bei Cariboo mitzumachen und im Moderationsteam zu sein?

Ich finde, es ist einfach eine coole Sache, mal hinter so einer Plattform zu stehen und selber seine eigenen Ideen mit reinzuwerfen. Jede*r Jugendliche hat unterschiedliche Erfahrungen gemacht und jede*r hat andere Bedürfnisse. Und jede*r kann seine Ideen mit einbringen und somit Cariboo noch ausbauen. Ich finde es toll, dass man andere Careleaver und allgemein soziale Projekte unterstützt, sodass es in Zukunft nicht nur mehr soziale Projekte gibt, sondern auch die, die es schon gibt, Bestand haben. Deswegen mach ich mit.

Apropos Zukunft. Wir reisen in die Zukunft – was denkst du, welche Bedeutung Cariboo in 5 Jahren für Careleaver hat und wem hat Cariboo darüber hinaus noch genutzt?

In 5 Jahren sind einfach ganz, ganz viele Fragen auf der Plattform – und Antworten! Ich glaube, dass dann Cariboo in ganz Deutschland und auch international bekannt ist. In 5 Jahren weiß jede*r in den Einrichtungen: Cariboo, da kannst du deine Fragen stellen, wenn du Hilfe brauchst und du bekommst eine Antwort. Ich glaube, dass das für Careleaver und Carereceiver international eine Hilfestellung im Alltag wird. Und ich kann mir gut vorstellen, dass dann auch Fachkräfte Fragen stellen und beantworten. Jede*r, der damit zu tun hat, kann dann Fragen stellen – ob es ums Wohnen geht, um Ausbildung, Finanzen oder Gesundheit.

Welche weiteren Angebote sollte es auf einer Digitalen Plattform für Careleaver noch geben?

Ich fände richtig cool, wenn jede Person eine*n Ansprechpartner*in für ihre persönlichen Fragen haben kann, wenn das halt zu privat ist für den öffentlichen Bereich. Bei der Person könnte man sich melden und sein Thema besprechen. Und was ich auch noch cool fände, wäre Barrierefreiheit, sodass z. B. auch blinde Leute diese App benutzen können. Also im Prinzip wünsch ich mir, dass einfach alle Menschen auf der Welt diese App nutzen und dort Unterstützung finden können.