Erfahrungsbericht einer Careleaverin

»Ich wünsche mir, dass man aufhört, vorschnell zu urteilen, dass aus "Heimkindern" nichts werden kann«

In diesem Bericht erzählt Nocki, 25, von ihren Erfahrungen, die sie im Übergang aus der Jugendhilfe ins selbstständige Leben gesammelt hat.

Dieser Text wurde von Nocki für die Instagram-Reihe zu Leaving Care unseres Brückensteinprojekts Careleaver* Kollektiv Leipzig verfasst. Aus redaktionellen Gründen wurde er gekürzt. Die Originalversion finden Sie bei @bashenundbloggen auf Instagram.

»Leaving Care ist für mich, als hätte man mir mit der Volljährigkeit den Boden unter den Füßen weggezogen, Rechnungen hinterhergeworfen und gerufen "Du packst das schon!"«

Wenngleich ich schon als Kind und in der Wohngruppe gezwungenermaßen selbstständig sein musste, war's trotzdem heftig als Erwachsene plötzlich komplett allein dazustehen. Gerade die Autonomie wurde mir insofern zum Problem, dass mir keine Nachbetreuung mehr zustand.
Doch ich würde es heute wieder so tun!



Ich habe es Zuhause nicht mehr ausgehalten und heute kann ich als Careleaverin sagen:

  • Ich habe früh gelernt, mit wenig Geld für eine ganze Kompanie einzukaufen und zu kochen.
     
  • Ich habe gelernt damit umzugehen, permanent broke zu sein.
     
  • Auch Rebellion will gelernt sein. Beim Jugendamt konnte ich mir die Finanzierung der Mathe-Nachhilfe erkämpfen und Beschwerdebriefe und Aushandlungen mit dem Landrat haben damals u.a. bewirkt, finanzielle Leistungen in der stationären Jugendhilfe zu erhöhen. Bei jährlichen 25€ für Schulbedarf – was nicht mal für eins meiner Bücher gereicht hätte – sollte ich den Rest mit meinem bescheidenen Bekleidungsgeld zahlen. Nicht mit mir.
     
  • Ich bin durch meine Krisen irgendwo stärker geworden. Ich bin heute lebensfroh, hole das Kindsein nach, achte darauf, was mir guttut und versuche, nach vorn zu schauen.

     

Ohne Rückenwind der Eltern ist es hart. Als Kind, als Jugendliche und Erwachsene. Ich hatte schon immer Schwierigkeiten damit, Begriffe wie Zuhause, Heimat und Familie für mich zu definieren und frage mich, ob es irgendwann nicht mehr so schwer sein wird.

Doch ich habe das Glück, dass ich die besten Freunde der Welt habe. Es ist die Familie, die ich mir ausgesucht habe. Außerdem habe ich eine liebevolle Zieh-Mama, die mein Vorbild ist.

Der stationären Jugendhilfe danke ich vor allem für eins: Freundschaft. Wir waren ein Haufen Kinder, die sich lost gefühlt haben und für einander da waren. In irgendeiner Hinsicht eine gute Basis für Verbundenheit und wie Anne with an E sagt: "Sometimes life hides gifts in the darkest of places."

Vieles ist herausfordernd genug und ich würde mir wünschen, dass man aufhört vorschnell zu urteilen, dass aus "Heimkindern" nichts werden kann.«

»Careleaverin sein heißt für mich, aus allem etwas zu holen, auch wenn es nicht viel scheint. Es heißt sich kleine Ziele zu setzen, zu kämpfen, durchzuhalten und Wertvolles festzuhalten.«