Interview

»Für mich stand fest:
wir müssen was tun!«

Thomas Villmow ist seit 2012 als Programmverantwortlicher für die Schweizer DROSOS STIFTUNG tätig, selber Vater eines Pflegesohns und außerdem ein leidenschaftlicher Chorsänger. In diesem Interview verrät er uns, was ihn dazu bewegte, sich mit der Thematik Leaving Care auseinanderzusetzen und wie es schließlich zur Initiative Brückensteine Careleaver kam, die durch die DROSOS STIFTUNG ermöglicht wird.

Hallo Thomas! Wie würdest du dich selbst beschreiben?

Ich denke, ich bin ein quirliger Geist, der mit offenen Augen durch die Welt geht und stets versucht, mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen. Dabei interessiert mich, in der Welt Dinge positiv voranzubringen.

Was zeichnet deine Arbeit bei der Stiftung aus?

Wir in der DROSOS STIFTUNG achten darauf, dass unsere Grundhaltung von Partizipation und Agieren auf Augenhöhe mit jungen Menschen durch unsere Förderpartner auch tatsächlich ernstgenommen wird. Wir wollen zudem nicht alte Denk- und Herangehensweisen unterstützen, sondern innovative Ansätze fördern, die die Ressourcen von uns allen als Zivilgesellschaft mit einbeziehen.

Wie bist Du aufs Thema Careleaver aufmerksam geworden?

In geförderten Projekten sind uns immer wieder junge Leute begegnet, bei denen das häusliche Umfeld problematisch war. Mir ist klar geworden, dass es eine große Schieflage zwischen denjenigen gibt, die familiäre Unterstützung haben und denjenigen, denen sie fehlt. Persönliche Erfolge von Teilnehmenden in Projekten brachen abrupt ab, als Krisen und überfordernde Dinge im häuslichen Umfeld hinzukamen. Für Careleaver war dies oft der bevorstehende Auszug aus der stationären Unterbringung oder damit verbundene Themen. Das hat mich dazu bewegt, mit Fachkräften und Universitäten zu reden, um ein tieferes Verständnis über die Situation von Careleavern in Deutschland zu gewinnen. Nach dieser Analyse stand für mich fest: wir müssen was tun!

»Es gibt nicht DIE Lösung, denn Careleaver sind keine homogene Gruppe.«

Und wie seid ihr das dann im nächsten Schritt angegangen?

Während einer intensiven Recherchephase, die ich mit Alina Kierek, die damals Werkstudentin bei der DROSOS STIFTUNG war, durchführte, haben wir zahlreiche Gespräche mit Fachkräften, Careleavern und Einrichtungen geführt. Wir sind durch Deutschland gereist und haben uns vor Ort über die Lage erkundigt. Wir haben annähernd 30 nationale und internationale Studien gelesen und ausgewertet und potentielle Partner gesucht. Mit dem Kinder- und Jugendhilferechtsverein aus Dresden konnten wir dann ein erstes Pilotprojekt starten, das die Grundlage für den Aufbau dieses Förderprogramms bildete.

Was ist für Dich das Besondere an der Initiative Brückensteine Careleaver?

Ich glaube, uns ist allen klargeworden, dass es DIE Lösung nicht gibt, denn die Herausforderungen von Careleavern reichen von Ausbildungsfragen über Wohnung oder psychischer Gesundheit bis hin zu familiären Herausforderungen. Careleaver sind keine homogene Gruppe: manche kommen besser, manche schlechter mit ihrer Lebenslage zurecht. Wir versuchen daher, den Problemstellungen auf verschiedenen Wegen zu begegnen. Momentan arbeiten wir mit 8 Projektpartnern zusammen. Alle verfolgen verschiedene Lösungsansätze in unterschiedlichen Regionen.

Was bereitet Dir an Deinem Job am meisten Freude?

Momente, bei denen ich spüre, dass wir etwas bewegt haben, geben mir unendlich viel Energie zurück. 

»Die Gesellschaft muss erkennen, welcher Schatz in diesen jungen Menschen liegt.«

Welche war die beste Entscheidung in Deinem Leben und welche würdest Du gerne rückgängig machen?

Meine beste persönliche Entscheidung war die Adoption von Alex, meinem Pflegesohn. Dass er in mein Leben getreten ist und heute meiner Familie angehört, ist für mich ein großes Glück. Über Dinge, die ich rückgängig machen würde denke ich nicht nach, denn was passiert ist, ist passiert. Mich interessiert vielmehr, was ich daraus lernen kann.

Was wünschst du dir für die Zukunft der Initiative?

Mein größter Wunsch ist, dass die Aktivitäten, die aus der Initiative heraus entstehen, das bestehende Jugendhilfesystem aufrütteln und anschlussfähig machen und dass die Potentiale junger Careleaver wirkungsvoll und langfristig unterstützt werden. Denn bislang erleben wird, dass diese Menschen allein gelassen werden. Brückensteine muss über den reinen Begriff hinauswachsen und echte Brücken bauen. Die Gesellschaft muss aufwachen und erkennen, welcher Schatz in diesen jungen Menschen liegt. Dazu muss die Initiative beitragen!

Und wenn Du persönlich drei Wünsche frei hättest – welche wären es?

Mein erster Wunsch ist, dass wir auf der ganzen Welt einen anderen Umgang mit Kindern und Jugendlichen finden, die in teilweise unmenschlichen Lebensumständen aufwachsen müssen. Mein zweiter Wunsch wäre, dass alle Autos aus Innenstädten verschwinden. Und als Drittes: es wäre schön, einen intakten Familien- und Freundeskreis bis ans Ende des Lebens zu haben!