Interview
Suratsch, 20, arbeitet in der Gastronomie in Wiesbaden und ist vor kurzem in die erste eigene Wohnung gezogen. Er wird noch durch seine ehemaligen Betreuer unterstützt (Hilfe für junge Volljährige nach §41 SGB VIII) – ein wichtiges Angebot, das vielen Careleavern nicht zur Verfügung steht. Suratsch findet, dass es in der Gesellschaft zu viele negative Vorurteile gegenüber Careleavern gibt. Deshalb engagiert er sich in seiner Freizeit gerne ehrenamtlich und möchte damit anderen ein Vorbild sein.
Hallo Suratsch! Verrate uns doch, welche Eigenschaften dich am besten beschreiben?
Ich bin offen und selbstbewusst und engagiere mich gerne ehrenamtlich.
Auf welche Hürden, die du gemeistert hast, bist du besonders stolz?
Mein damaliger Umzug in die Jugendhilfe war eine große Hürde. Das geschafft zu haben, darauf bin ich schon stolz. Und auf mein ehrenamtliches Engagement bin ich stolz, ich war zum Beispiel auch schon im Landesheimrat Hessen und verschiedene Medien sind auf mich zugekommen.
Warum ist dir ehrenamtliches Engagement als Careleaver wichtig?
Ich bekomme auch in meinem Alltag teilweise mit, dass es Menschen gibt, die Vorurteile gegenüber Careleavern haben. Manche denken tatsächlich, dass es sich bei Careleavern um schwer erziehbare Jugendliche handelt, die in einer Art „Kinderknast“ aufwachsen und leben. Diese Sicht auf Careleaver sollte sich ändern. Deshalb engagiere ich mich und kläre auf.
Gibt es etwas, was du leisten musstest, was andere Gleichaltrige nicht leisten müssen?
Ich habe damals schon angefangen selbstständig zu leben und gelernt, mich selbst zu versorgen. Ich habe mir tatsächlich Jobs gesucht, um mir das zu erarbeiten, was ich brauchte und damit ich mir ab und zu auch mal ein Freizeitvergnügen leisten konnte. Meinen ersten Job hatte ich mit 12 Jahren.
Gibt es einen Bereich, in dem du dir mehr Unterstützung wünschen würdest?
Ich bin jetzt zwar nicht mehr in der vollstationären Jugendhilfe, werde aber immer noch betreut. Jetzt speziell bei diesem Coronafall bekommen wir zum Beispiel immer wieder Anrufe mit der Nachfrage, ob es uns gut geht. Und es wird schon auf uns aufgepasst, dass wir auch unsere Miete bezahlen und uns selbst versorgen können. Ich fühle mich also gut betreut und weiß, dass ich nur den Mund aufmachen muss um die Unterstützung zu bekommen, die ich benötige. Das weiß ich zu schätzen an meinen Betreuern.
Wie stellst du dir den Austritt aus der Jugendhilfe vor?
Ich bin erst ganz raus, wenn ich 21 bin. Aber ich glaube, dass einige Betreuer, die ich in der stationären Jugendhilfe kennengelernt habe, in meinem Leben weiterhin eine Rolle spielen werden. Mit ihnen bin ich immer mal wieder im Gespräch, wenn ich Hilfe brauche. Und durch mein Engagement kennen mich auch viele dort, weil ich einiges durchsetzen konnte, wo es hieß "genau das benötigen wir!"
Interessant! Was konntest du denn durch dein Engagement durchsetzen?
Wir hatten dort damals einen Fußballplatz, der aus echtem Rasen bestand. Bei Schnee oder Nässe konnte man darauf also nicht spielen. Jetzt gibt es eine Multisportanlage mit Kunstrasen und Schaukeln, und allem drum und dran.
Wohnungssuche?
Ist für Careleaver oft viel schwerer!
Diese Erfahrung hat auch Suratsch machen müssen und dem Paritätischen Gesamtverband darüber erzählt.
»Meinen Betreuern bin ich sehr dankbar. Ich werde sie auch nach dem Ausstieg aus der Jugendhilfe nie vergessen.«
Was sollte sich deiner Meinung nach noch strukturell ändern, um Careleaver besser zu unterstützen?
Die Kostenheranziehung muss endlich abgeschafft werden! Von der hieß es immer wieder, dass sie geändert werden soll und dann wurde das aber doch von der Politik aufgeschoben. Das fühlt sich an, als wären Heimkinder nicht wichtig. In der vollstationären Wohngruppe habe ich noch Geld von der Gruppe bekommen, nun bekomme ich mein Geld immer überwiesen und kümmere mich um meinen Haushalt und laufende Kosten selbst. Dadurch habe ich gelernt es besser zu verwalten und weiß genau wieviel ich wofür ausgeben kann und muss. Was sich außerdem noch ändern sollte ist die Meinung von Vermietern gegenüber jungen Erwachsenen, die aus der Stationären Wohngruppe kommen und wohnungssuchend sind.
Wofür bist du dankbar?
Für die Betreuer! Die leisten immer mehr und wirklich gute Arbeit, nehmen sich sogar privat noch Zeit für einen, sind für die Jugendlichen immer da und sorgen dafür, dass es uns gut geht.
Und zuletzt die Frage: Was ist ein Wunsch, den du dir erfüllen möchtest?
Ich mache zurzeit meinen Führerschein, das war lange ein Wunsch von mir. Außerdem plane ich eine Asienreise zu machen. Ich möchte gern nach Indien, Thailand, Vietnam und Singapur.