Birgitta Mayr:

»Es geht vor allem darum zu informieren, denn viele wissen gar nicht, dass sie Careleaver*innen sind«

Birgitta Mayr arbeitet als Sozialarbeiterin beim Careleaver* Kollektiv Leipzig und spricht im Interview von ihrer Arbeit in der stationären Jugendhilfe und ihrem Engagement für Careleaver*innen.

Hi Birgitta, erzähl uns doch mal davon, wie du dich für Careleaver*innen engagierst und wie du dazu gekommen bist?

Birgitta: 

Das hat schon vor ein paar Jahren gestartet – ich habe fünf Jahre lang in einer stationären Wohngruppe in der Leitung gearbeitet. Da stellt man sich irgendwann die Frage, was ist eigentlich, wenn die jungen Leute dann 18, 19, 20 werden und spätestens mit 20 bei uns ausziehen müssen. Die Frage hat mich beschäftigt und es ließ sich nicht viel dazu finden und auch für die Stadt Leipzig war das eigentlich kein Thema. Nur die Träger, also die Wohngruppen an sich, schienen sich mit der Frage zu beschäftigen. Nach dem Auszug brach häufig der Kontakt zu den jungen Leuten weg und wenn man sich zufällig in der Stadt sah, war es oft so, dass Careleaver*innen noch einige Fragen hatten und damit nochmal bei uns vorbeikommen wollten. Dadurch kam es dann auch dazu, dass es zu meinem Beruf geworden ist: Ich bin Sozialarbeiterin und fing im Februar 2021 an, für das Careleaver* Kollektiv Leipzig zu arbeiten.

Mit welchen Ansätzen arbeitet ihr und was für eine Rolle spielt Vernetzung unter Careleaver*innen?

Birgitta: Beim Careleaver* Kollektiv Leipzig geht es darum, Careleaver*innen zu unterstützen, zu empowern und sie auch für eigene Projekte zu begeistern. Das Berufliche und Private überschneidet sich manchmal. Zum Beispiel geht man gemeinsam auf eine Demo oder man unterstützt an anderen Ecken, gibt Tipps, führt ein Telefonat. Wobei hier das Thema der professionellen Nähe und Distanz und deren Kommunikation aber auch ganz wichtig ist.

Vernetzung und gemeinsames Wirken sind sehr wichtig und das geschieht auch durch uns als Schnittstelle. Zum Beispiel können wir manchmal Ehrenamtliche miteinander vernetzen, da sie dieselben Hobbies, Interessen oder Probleme haben. Heißt, es passiert auch viel auf der informellen Ebene. Dazu muss man allerdings sagen, dass ein rechtlicher Anspruch auf Unterstützung nicht auf dem Zufall von tragenden sozialen Beziehungen basieren sollte. Da läuft dann grundlegend was schief.

»Ein rechtlicher Anspruch auf Unterstützung sollte nicht auf dem Zufall von tragenden sozialen Beziehungen basieren – Da läuft dann grundlegend etwas schief

Birgitta Mayr und Katja Meier (rechts) bilden gemeinsam das Team des Careleaver* Kollektivs Leipzig

Welche Chancen und Möglichkeiten siehst du für das Careleaver* Kollektiv Leipzig bei den Brückensteinen und was bedeutet das für eure Arbeit?

Birgitta:

Also der Begriff »Careleaver« bzw. »Careleaver*in« ist ja noch recht jung. Besonders in der Zeit als ich in der stationären Jugendhilfe gearbeitet habe, hatte davon eigentlich keiner gehört. Erst als ich mich selbst damit befasst habe, was eigentlich mit den jungen Menschen passiert, sobald sie die stationäre Jugendhilfe verlassen, bin ich auf den Begriff gestoßen. Ich denke, es ist es ganz wichtig, dass man sich vernetzt. Mit Brückensteine schaffen wir das schon deutschlandweit. Meiner Meinung nach könnte man es aber auch globaler denken.

Um die Debatte aber auf Deutschland zu beziehen: Es geht vor allem darum zu informieren, denn viele Careleaver*innen wissen nicht, dass sie Careleaver*innen sind. Auch viele Fachkräfte können mit dem Begriff bisher nicht viel anfangen. Das ist kein Vorwurf, sondern ganz normal und ich denke, dass es daher wichtig ist, an verschiedenen Orten zu informieren – auch auf der politischen Ebene, um Bewegung in die teilweise sehr schwierige Gesetzeslage für Careleaver*innen zu bringen. Auch ist unser Ziel, gesamtgesellschaftlich mehr Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen. Dazu sollte man Fachkräfte und die jungen Menschen aus den Projekten selbst mit einbinden. Deshalb gefällt mir auch der Begriff Brückensteine so gut. Alle Projekte stellen einen Stein dar, welcher Teil einer Brücke ist, die hoffentlich am Ende dahin führt, dass es weniger Stigmatisierung von ehemaligen »Heimkindern«, also Careleaver*innen, gibt. Im besten Falle sollten Beratungen, wie es sie auch bei uns im Kollektiv gibt, in die Rechtsgrundlage aufgenommen und viel breiter angeboten werden.