Interview
Kritsada, 25, ist Careleaver und lebt in Thailand. Er studiert Germanistik und ist auf unsere Kampagne #mehralscareleaver aufmerksam geworden. Den Begriff Careleaver und spezielle Unterstützungsangebote für Careleaver kennt er nur aus Deutschland.
Hallo Kritsada! Wo bist du geboren und wie bist du aufgewachsen?
Ich bin nahe einer kleinen Stadt im Nordosten von Thailand aufgewachsen, in Ubon Ratchathani. Ubon Ratchathani liegt im Dreiländereck zwischen Kambodscha, Laos und Thailand. Dort, wo ich aufgewachsen bin, gab es viele Reisfelder, es war ein kleineres Dorf am Stadtrand. Ich bin mit meinen Eltern und meinem älteren Bruder aufgewachsen, meistens war ich mit meinem Bruder zusammen im Haus, dort haben wir gespielt.
Mein Vater hat in Taiwan gearbeitet und war deshalb nur selten bei uns zu Hause. Er hat uns Geld zum Leben geschickt. Meine Mutter hat nicht gearbeitet und sich anfangs um uns Kinder gekümmert. Später hat sie dann das Spielen angefangen, mit Karten, bei den Nachbarn, und meist unser ganzes Geld verspielt. Mein Bruder musste deshalb früh anfangen, auf einer Baustelle zu arbeiten. Ich ging dann noch zur Schule.
Welche Erinnerungen sind dir an diese Zeit besonders wichtig?
Zu der Zeit hatten wir noch keinen Fernseher, ich bin dann immer zur Tochter einer Freundin meiner Mutter gegangen, um dort etwas im Fernsehen anzuschauen. Mit ihr konnte ich mich auch viel unterhalten. Wir hatten ein enges Verhältnis, ich konnte mit ihr viel offener sprechen als mit meiner Mutter. Sie war ungefähr vier Jahre älter als ich.
Wie war dein Leben als Jugendlicher in Thailand?
Als ich noch 14 oder 15 Jahre alt war, sind meine beiden Eltern gestorben. Zu dieser Zeit war ich auf einem College und habe nebenbei gearbeitet, um mir ein Zimmer zu leisten. Ich bin sehr früh von zu Hause ausgezogen, weil ich das Leben dort nicht mehr ertragen habe – meine Eltern waren da schon Spieler und Alkoholiker. Gekümmert habe ich mich um alles alleine; hier in Thailand gibt es keine Stellen oder Institutionen, die dich da auffangen und dich unterstützen. Unsere Familie, also meine Geschwister und ich, sind dann praktisch auseinandergefallen.
»Ich hoffe, dass jeder das tun kann, was er gerne tut. Das wünsche ich für mich und auch für andere. Es geht nicht darum, viel Geld zu haben, sondern glücklich zu sein.«
Wie lebst du heute? Welche Ziele hast Du im Leben?
Heute studiere ich an der Universität von Bangkok Germanistik, ich bin jetzt im 3. Jahr und schließe das Studium dieses Jahr ab. Wegen der Coronakrise gibt es auch hier in Thailand keine Stellen, deshalb wird die Situation erst einmal schwierig werden. In Thailand hängt ja viel vom Tourismus ab und der ist im Moment eingestellt. Vielleicht kann ich ja in ein anderes Land ziehen, wo die wirtschaftliche Situation besser ist. Ich könnte mir auch vorstellen, dort Thai zu unterrichten – aber wer will das schon im Ausland lernen?
Was hat dir in schwierigen Zeiten geholfen, stark zu bleiben und nach vorne zu schauen?
Wenn die Zeiten schwierig waren, habe ich immer gehofft, dass noch irgendwann etwas Gutes eintreffen wird – ein bisschen wie das deutsche Sprichwort „Wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her.“ Das ist bisher auch immer eingetreten! Ich denke auch immer daran, dass es anderen Menschen noch schlechter geht als mir, und das hilft auch.
Kennst du andere Careleaver und hast Du Kontakt?
Nein, ich kenne niemanden. Das gibt es in Thailand (leider) auch gar nicht.
Was wünscht Du Dir für Dich selbst und andere Careleaver in der Welt?
Ich hoffe, dass jeder das tun kann, was er gerne tut. Das wünsche ich für mich und auch für andere. Es geht nicht darum, viel Geld zu haben, sondern glücklich zu sein.