Interview
Helena Knorr, Projektmanagerin des AWAKE Fellowships, spricht in diesem Interview darüber, inwiefern das Fellowship Careleaver*innen darin unterstützt und sie vor allem empowered, ihre Anliegen in die Gesellschaft zu tragen.
Foto: Teida Vera Heerdegen, Trainerin, Helena Knorr, Projektmanagerin AWAKE und Ella Vaas, Trainerin (von links).
Liebe Helena, du bist aktuell Projektmanagerin des AWAKE Fellowships. Der erste Jahrgang hatte vor Kurzem sein viertes und letztes Retreat. Nimm uns gerne zunächst mit auf eine kleine Reise in die Vergangenheit. Wie ist das Projekt entstanden und was waren und sind deine Aufgaben?
Helena:
Das Projekt ist aus der Idee heraus entstanden, dass wir die Selbstvertretung von Careleaver*innen stärken und uns für gleiche Teilhabechancen von Careleaver*innen einsetzen wollten – dafür gab es noch kein bestehendes Projekt in der Brückensteine Initiative. Und mit ganz vielen Beteiligungs-Workshops, Eins-zu-eins-Sessions und Gesprächen mit engagierten Careleaver*innen haben wir dann das Konzept für das Brückensteine Fellowship entwickelt. Wir sind darauf gekommen, dass wir vor allem drei Ansätzen nachgehen wollen: Empowerment, Förderung demokratischer Partizipation sowie erfahrungsbasiertes Lernen und damit eben auch die Verbesserung von Bildungschancen.
»Es ist wichtig, dass man die Fellows darin fördert, wirklich eigene Projekte auf den Weg zu bringen und dass man ihnen eben nicht zu viel vorgibt.«
Was sind denn deine momentanen Aufgaben bei AWAKE?
Helena:
Zu den Aufgaben des Projektmanagements gehören die Ansprache und Begleitung der Fellows von der Bewerbung bis zur Projektdurchführung sowie Alumni-Arbeit. Und auch, die Öffentlichkeitsarbeit für das Projekt zu betreuen: Wir haben einen super coolen neuen Instagram Kanal für AWAKE gelauncht dieses Jahr. Ich begleite auch die Projektgruppen und Projekte, die entstehen und die Coaching-basierte Unterstützung der Projektgruppen. Auch die Konzeption von Workshops und Wochenendseminaren liegt in meiner Verantwortung sowie die Organisation von Austauschabenden und weiteren Online-Angeboten.
Was macht für dich das AWAKE Programm aus? Gibt es besondere Merkmale und Learnings mit den ersten zwölf Fellows?
Helena:
Das Besondere ist, dass die Fellows Ausgangspunkt und Zentrum des Projekts sind. Das heißt nicht nur sie selbst, sondern auch ihre Meinung, ihre Ansätze und Ideen, was man verbessern muss im Bereich von Leaving Care. Es ist wichtig, dass man sie darin fördert, wirklich eigene Projekte auf den Weg zu bringen und dass man ihnen eben nicht zu viel vorgibt. In diesem Prozess können sie viel lernen. Besondere Merkmale des AWAKE Fellowships sind außerdem, dass mit dem ersten Jahrgang auch ein besonderes Community-Gefühl unter den Fellows entstanden ist und sie sich gegenseitig auch über die Projekte hinaus in ihrer persönlichen Lebensführung unterstützen, sich Tipps geben und gegenseitig inspirieren.
»Gerade, wenn man deutschlandweit und digital vernetzt arbeitet, benötigt man noch mehr digitale Infrastruktur – viele haben einfach schlechtes Internet und veraltete Geräte.«
Was waren bisher die wichtigsten Learnings?
Helena:
Wichtige Learnings waren, dass auch selbstbestimmte Projektarbeit Begleitung braucht. Vor allem am Anfang ist auch viel Beziehungsarbeit notwendig, die aber durch viel Austausch und gute Methoden verkürzt werden und sehr empowernd sein kann. Das zweite Learning ist, dass gerade, wenn man deutschlandweit und digital vernetzt arbeitet, man noch mehr digitale Infrastruktur benötigt – viele haben einfach schlechtes Internet und veraltete Geräte. Wir benötigen daher den Careleaver-Teilhabefond, durch welchen wir Geräte und Basisvoraussetzungen für den digitalen Austausch ermöglichen können.
Noch ein Learning ist, dass viele Careleaver*innen auch ihre Freizeit mit Lohnarbeit füllen (müssen) und dadurch Zeit eine Mangelware ist. Viele engagieren sich auch mehrfach, wie bspw. noch beim Careleaver e.V. Dadurch besteht die Gefahr, dass einige Careleaver*innen sich übernehmen – Stichwort „Activism Burnout“. Als Projektleitung sollte man daher besonders darauf schauen und auch versuchen, den Druck immer wieder herauszunehmen und außerdem aufzuklären und sich auch dem Thema Stressmanagement zu widmen.
Man muss also den Spagat schaffen zwischen dem Halten der Motivation, sich zu beteiligen, aber auch immer darauf achten, dass Mental Health und seelisches Wohlbefinden die Basis für unsere Arbeit und unser Engagement ist.
Es gab im ersten Jahr drei Projektgruppen. Erzähle uns kurz, was die Fellows gemeinsam erarbeitet haben. Und wie geht es mit ihren Projekten weiter?
Helena:
Die erste Projektgruppe hat eine Petition im Rahmen einer Kampagne ausgearbeitet: „Careleaver Revolte“. Die Petition beinhaltet 15 Forderungen an Politik und Gesellschaft, die unter anderem die Schaffung eines Rechtsstatus für Leaving Care fordern sowie neue Perspektiven für Hilfeplangespräche. Wir müssen von der Defizitorientierung hin zur Potentialförderung kommen. Außerdem werden mehr Stipendien für Careleaver*innen sowie Mietbürgschaften und Kautionen gefordert.
Die zweite Gruppe ist das Team „UnErhört“. Sie haben Sensibilisierungsworkshops für angehende Fachkräfte entwickelt und reisen derzeit durch die Hörsäle Deutschlands und erzählen angehenden Sozialarbeiter*innen von ihren Erfahrungen.
Die dritte Gruppe „Careleaving Stories“ hat ein eigenes Zine entwickelt sowie eine Instagram Page. Dort haben sie dazu aufgerufen, kreative Beiträge einzusenden, um anderen Careleaver*innen Mut zu machen und ihre Geschichten zu teilen.
Wie geht es mit den Projekten weiter?
Helena:
Die Gruppe rund um die Petition kümmert sich derzeit um die Pressearbeit. Sie kontaktieren verschiedene Medien und versuchen Aufmerksamkeit in der Presse und somit in der Gesellschaft zu schaffen. Das läuft sehr gut. Bei der Petition geht es einerseits darum, eine Rückmeldung von dem Petitionsausschuss zu bekommen und andererseits aber auch darum, die Petition zu nutzen, um Aufmerksamkeit zu erregen. Und daran werden wir weiter arbeiten. Wir waren auch gerade bei einem Hearing im Bundestag mit einer Fellow, die bei der Petition mitgewirkt hat. Sie hat die Petition dort den anwesenden Fachpolitiker*innen mitgegeben.
Das Team „UnErhört“ macht auch weiter: Für das nächste Jahr haben sie schon vier Anfragen und wollen auf Honorarbasis ihre Workshops weiter ausbauen und durchführen.
Das Zine-Team ist derzeit noch dabei, aus den 45 eingesandten Beiträgen auszuwählen, welche letzten Endes in die gedruckte Version kommen. Der Druck soll Ende Oktober stattfinden.
Was waren denn für dich persönlich die tollsten Erlebnisse und mit welchen Gefühlen blickst du auf das zurückliegende AWAKE-Jahr?
Helena:
Die schönsten Erlebnisse waren die Retreats, bei denen wir uns alle begegnet sind und kennengelernt haben. Es hat allen viel Energie gegeben, gemeinsam etwas zu schaffen und wir glauben daran, dass wir auch mit kleineren Projekten schon etwas bewirken können. Auch haben wir eine Atmosphäre des Vertrauens geschaffen und sind uns alle auf Augenhöhe begegnet. Nach den Retreats waren alle dann sehr hyped und haben richtig Bock weiterzumachen. Ansonsten war noch es total schön für mich zu sehen, dass drei der Fellows ein Stipendium von der sdw erhalten haben.
»Ihre Arbeit ist absolut über dem, was viele andere gesellschaftlich beitragen.«
Was wünschst du dir denn für die Zukunft des Projektes?
Helena:
Neben vielen Bewerbungen wünsche ich mir, dass das Projekt auf größerem Fuß steht, auch personell. Damit noch intensiver in die Zusammenarbeit mit den Fellows gegangen werden kann und man dem Beratungsbedarf gerecht wird. Auch wäre es toll, Careleaver*innen zu erreichen, die bisher nicht engagiert waren, sowie, dass Social Media stärker genutzt wird, um auf die Thematik aufmerksam zu machen – Tiktok wäre toll.
Gibt es noch etwas, was du den Alumni-Fellows und den zukünftigen Fellows mit auf den Weg geben möchtest oder würdest?
Helena:
Also, was ich ihnen die ganze Zeit auf den Weg gegeben habe und immer mitgeben möchte, ist, dass sie wahnsinnig stolz darauf sein können, was sie geleistet haben in diesem Jahr. Und dass ihnen klar ist, dass ihre Arbeit absolut über dem ist, was viele andere gesellschaftlich beitragen. Dass sie aber auch auf sich aufpassen und ihre Grenzen beherzigen sollen. Und dass sie miteinander in Kontakt bleiben und sich auch mal privat treffen.