Interview

»Die Initiative setzt dort an, wo helfende Hände fehlen.«

Carmen ist Mutter zweier Kinder und eine – wie sie selber über sich sagt – echte Quasselstrippe. Heute sprechen wir mit ihr über ihre Motivation, sich ehrenamtlich für Careleaver zu engagieren. Die Probleme, mit denen Careleaver häufig konfrontiert sind, kennt sie gut, denn sie ist selber in einem Kinderheim in Mecklenburg-Vorpommern aufgewachsen.

Hallo Carmen, verrate uns doch, wie es zu Deinem ehrenamtlichen Engagement kam und was dir daran am meisten Spaß macht.

Als ich vor 25 Jahren in nur knapp zwei Monaten das Heim verlassen musste, stand ich quasi auf der Straße. Durch das Engagement Einzelner wie Freunde oder Erzieher wurde ich in dieser schwierigen Zeit aufgefangen. Mit meiner Arbeit bei Brückensteine Careleaver möchte ich mich für Careleaver einsetzen. Am meisten freue ich mich über meine Arbeit als Mentorin bei Careleaver Weltweit.

Was ist für Dich das Besondere an der Initiative Brückensteine Careleaver?

Brückensteine Careleaver setzt dort an, wo helfende Hände beispielsweise durch die Familie für Careleaver fehlen. Sie berücksichtigt dabei verschiedene aber sehr wichtige Themen, wie Arbeit, Wohnung oder Persönlichkeitsentwicklung. Ich finde es gut, dass Careleaver aus Heimen wie auch aus Pflegefamilien berücksichtigt und aktiv eingebunden werden.

Weshalb ist es Deiner Meinung nach wichtig, dass Careleaver mehr öffentliche Aufmerksamkeit bekommen?

Careleaver bringen besondere Lebensumstände mit sich. Mit dem Auszug aus dem Heim oder der Pflegefamilie sind Sie quasi auf sich gestellt. Sie sollten Unterstützung erfahren und nicht bürokratische Hürden überwinden müssen.

»Ich wusste, ein Zuhause – wie ich es kannte – gab es nun nicht mehr.«

Du hast angedeutet, dass der plötzliche »Rauswurf« aus der Jugendhilfe sehr schwierig für dich war. Wie hast du das Verlassen des Heims damals erlebt?

Bei meinen letzten »Hilfegespräch« wurde mir offenbart, dass ich das Heim verlassen muss. Ich war geschockt! Ich hatte gerade erst die Schule abgeschlossen und war völlig mittellos. Da ich nicht wusste, wo ich danach wohnen könnte, entschloss ich mich, als Au Pair ein Jahr ins Ausland zu gehen. Als ich nach Amerika aufbrach, war ich zwar positiv aufgeregt zugleich aber auch traurig, weil ich wusste, ein Zuhause – wie ich es kannte – gab es nun nicht mehr für mich.

Wie lief das damals bei dir ab? Was hat dich aufgefangen?

Dass ich überhaupt ins Ausland gehen konnte, verdanke ich meiner Heimbetreuerin Schwester Guda, denn erst durch viele Telefonate wurde sie auf diese Idee gebracht. Sie fand auch die Stiftung, die den geforderten finanziellen Eigenanteil für mich übernahm. Meine »richtigen Sorgen« begannen aber erst nach meiner Rückkehr nach Deutschland. Da ich keine Wohnung hatte, bekam ich auch keine Sozialhilfe und umgekehrt. Ich war verzweifelt und rannte von einem Amt zum anderen. Dass irgendwie doch noch alles gut ging, verdanke ich ganz vielen Menschen: meiner Freundin und ihrer Familie, bei der ich anfangs wohnte, meiner Heimerzieherin, die mich dann als Untermieterin aufnahm, der Sachbearbeiterin beim Sozialamt, die sich über ihren Chef hinweg setzte...

Welche Lehren ziehst du daraus für die Jugendhilfe?

Rückblickend wundere ich mich, warum weder ich noch die Betreuer auf den Auszug vorbereitet waren. Wäre ich früher darauf vorbereitet worden, hätte ich möglicherweise einen anderen Weg gewählt und ich hätte mich vielleicht emotional darauf vorbereiten können.

Carmen, ehrenamtlich engagierte Careleaverin mit Schwester Guda
 

»Vor allem sie hat das Heim zu einem liebevollen Zuhause gemacht. Sie ist meine Familie.«

Carmen über Schwester Guda

Für welche Dinge in Deinem Leben bist Du am dankbarsten?

Am dankbarsten bin ich dafür, dass meine Mutter erkannte, dass sie Hilfe brauchte und mich ins Heim gegeben hat. Dadurch hat sie mir die Grundlage für eine gesunde Entwicklung gegeben, die ich bei ihr so ganz bestimmt nicht bekommen hätte.

Welche war die beste Entscheidung in Deinem Leben und welche würdest Du gerne rückgängig machen?

Die beste Entscheidung in meinem Leben war die, mit meinem Mann eine Familie zu gründen, also unsere Kinder! Rückgängig würde ich gern machen, dass ich mit meiner Mutter gebrochen habe als ich 14 war.

Schwester Guda, die damals deine Betreuerin im Heim war, spielt noch heute eine wichtige Rolle in deinem Leben. Warum ist sie so wichtig für dich?

Schwester Guda ist der Mensch, der mich am längsten, seit meinem dritten Lebensjahr, und am besten kennt. Als Ordensschwester war sie 24/7 für uns da – wie eine Mutter. Durch alle Lebensphasen hat sie mich begleitet, vor allem sie hat das Heim zu einem liebevollen Zuhause gemacht. Sie ist meine Familie.