Erfahrungsbericht einer Careleaverin

»Ich hatte nie das Gefühl, das Chaos um mich herum irgendwie lenken zu können«

Dieser Text wurde von Anja, 27, für die Instagram-Reihe zu Leaving Care unseres Brückensteinprojekts Careleaver* Kollektiv Leipzig verfasst. Die Originalversion finden Sie bei @bashenundbloggen auf Instagram. Die Illustration wurde von Lee (hier auf Insta zu finden) entworfen, die ebenfalls Careleaver:in ist und Bildende Kunst studiert.

Eine Careleaverin zu sein bedeutet für mich, beim Heranwachsen nicht gerade das beste Los bei der Wahl meiner Eltern gezogen zu haben. Mit Liebe und Freude geboren zu sein, jedoch von meinen Eltern allein gelassen zu werden und von ihnen isoliert zu leben. Nein, Familie gab es so einfach für mich nicht. Sie selbst kamen nicht aus Deutschland, kannten es auch nicht anders.
Ich aber schon. Ihre Fehler wurden zu meinem Verhängnis.
Trennung. Ein Schicksal, das wohl viele mit mir teilen.

Ab diesem Zeitpunkt hieß das für mich von staatlicher Seite der Einfachheit halber in normierte Entwicklungsabläufe gepresst zu werden und eine passende Institution für mich zu finden. Eine kaum auszuhaltende ohnmächtige Enge, würde ich rückblickend sagen.
Auch wenn mir oft vom Jugendamt suggeriert wurde, dass ich für meine Situation verantwortlich sei, hatte ich nie das Gefühl das Chaos um mich herum irgendwie lenken zu können. Nicht an einem einzigen damaligen Tag.

Seit dieser Zeit stelle ich mir andere Fragen. Begegne der Gesellschaft vorsichtiger. Es gab nur einen Weg dort heraus, und zwar dem Ganzen mit Geduld entgegenzutreten und 18 Jahre alt zu werden. Denn damit endet meist sehr abrupt die Jugendhilfe.
Die Volljährigkeit zu erlangen fühlt sich für junge Menschen oft wie eine Ewigkeit an. Aus den Augen einer Careleaverin kann sich dies wie ein nimmer enden wollender Zustand anfühlen. Eine Jugend entmündigt im versorgten Warteraum zur Freiheit. Geduldig zu sein war ein immer wiederkehrender Zustand während dieser Schlüsselmomente.
Als Careleaverin lernte ich leider schnell erwachsen zu werden, aber dafür nie die Perspektive von Kindern und Jugendlichen in Erziehungsmaßnahmen zu verlieren.

Und nun...? Das Leben ging weiter. Endlich kam die Freiheit und mit ihr der Wunsch, etwas zu verändern. Heute kann ich bei Themen in der Jugendarbeit mitmischen und eine Umwälzung der bestehenden Vorgehensweisen deutscher Jugendämter fordern. Es fällt mir schwer, über dieses Thema offen zu sprechen, da es doch immer etwas schmerzlich ist.

»Gerade deshalb ist es mir wichtig, dass Careleaver:innen nicht mehr unter der Last von Stigmatisierung oder sozialer Deprivation leben müssen.«